In der neuen Bar des Restaurants Lovis kreiert Nils Lutterbach die Cocktail-Entsprechung zu Sophia Rudolphs regional-saisonaler Küche
Als Sophia Rudolph Ende 2021 die Küche im neu eröffneten Lovis übernahm, war das Interesse gewaltig. Zum einen aufgrund der Personalie – die Berlinerin wurde in ihrer vorherigen Position als Küchenchefin im Panama unter Foodies als “Next Big Thing” gehandelt –, zum anderen wegen des Ortes: ein ehemaliges Frauengefängnis, aufwendig umgebaut zum Hotel Wilmina mit 44 Zimmern und Suiten, einer Dachterrasse, Bibliothek, Spa sowie eben jenem Restaurant. Nach gut einem Jahr des Verfeinerns und Eingroovens ist, bewusst zurückhaltend und unaufgeregt, die gleichnamige Bar hinzugekommen. Unbehelligt von neugierigen Kritikeraugen bekam Barchef Nils Lutterbach so den Raum, die Monate des Softopenings für die Feinjustierung seines Konzepts zu nutzen.
Der leise Grundton ist der Lovis-Bar darüber hinaus erhalten geblieben. Das liegt an Lutterbachs Persönlichkeit, an seiner Karte, die auf den ersten Blick nicht mehr preisgibt als numerisch und alphabetisch angeordnete Ansammlungen von Geschmackskomponenten, und an den Gegebenheiten des Ortes. Den Eingang zum 1896 als Erweiterung für die Strafabteilung des Amtsgerichts Charlottenburg errichteten Gebäudes markieren eine schwere, dunkle Holztür und eine einzelne Klingel. Auf Einlass wartend wandert der Blick eine helle Fassade mit Dreiecks- und Bogengiebeln hinauf. Hinter der Tür dann leuchtet es hell und minimalistisch modern, gefolgt von einem dunklen Innenhof, der in ein imposantes Backsteingebäude führt. Mehr Speakeasy als klassische Hotelbar. Das Geheimtipp-Gefühl sei ein entscheidender Teil der Atmosphäre, sagt Lutterbach. Sogar die hauseigenen Gäste müssen sich für einen Drink zunächst ins Freie bewegen.
Dinnergäste betreten das Restaurant durch die Bar, wo Bocci-Leuchten und geradliniges Design den Lovis-Stil bereits andeuten. Das Ineinanderübergehen von Bar und Restaurant geht räumlich und konzeptionell Hand in Hand. Die Lounge mit ihrem großen Fenster zum bepflanzten Innenhof kann von beiden Seiten bespielt werden. Lutterbach, der zuvor im Galander in Kreuzberg gearbeitet hat, habe sofort verstanden, was sie im Restaurant auf dem Teller umsetze, sagt Sophia Rudolph: zeitgenössische deutsche Küche mit saisonalen und regionalen Produkten von höchster Qualität. “Seine Ideen für Drinks haben dazu gepasst.”
Als “puristisch, hochwertig und understated”, fasst die Küchenchefin das Konzept zusammen, das sie nun in der Bar widergespiegelt sieht. Ihre Gänge werden im Menü allein mit Stichworten wie “Pastrami-Karotte, Jalapeño, Dill” oder “Buttermilch, Quitte” angekündigt. Lutterbachs Drinks heißen schlicht “No. 30 Erdbeere, Veilchen, Säure” oder “Cocktail C Tee, Zitrone, Bitterkeit” und sind koordinatensystemartig von süß nach trocken und von leicht nach kräftig angeordnet. “Die Karte ist sehr konzeptlastig”, sagt der Bartender. Gleichzeitig richte sie sich nicht an Barnerds, sondern an Menschen, die bereit sind, sich unberührt von Marken, Spirituosen und Image auf einen Geschmack einzulassen. Das warm ausgeleuchtete Rückbüfett hat Lutterbach entsprechend nur mit schlichten Apothekerflaschen bestückt, auf Garnituren am Glas wird weitestgehend verzichtet. “Die Gäste werden angeregt, sich zu überlegen, welche Aromen sie wirklich mögen, statt bei der Bestellung auf Altbewährtes zurückzugreifen”, so Lutterbach. Auf Nachfrage mixe er natürlich auch jeden gewünschten Drink oder verrate vorab die Komponenten seiner Kreationen, aber das komme bisher kaum vor. Dass das Konzept so gut angenommen wird, habe sicher mit dem Restaurant zu tun, das Menschen mit einem offenen Mindset anziehe, glaubt Lutterbach.
Die Architektur seiner Cocktails sei wiederum recht klassisch, sagt der gebürtige Hannoveraner, vieles werde gerührt, aufgebaut wie ein Martini oder Manhattan. “Wenn ich das dazu sagen würde, hätten die Gäste aber direkt ein bestimmtes Geschmacksbild im Kopf.” Stattdessen setzt Lutterbach auf Kommunikation. Wer ihm beispielsweise von einer Vorliebe für zitruslastige, frische Drinks wie eine Margerita berichtet, der bekommt in der Lovis-Bar die “No. 4 Orange, Lavendel, Kräuter” serviert und darf anschließend die Zutaten der floral-fruchtigen Mischung erraten oder einfach nur genießen.
Der Lavendel für die “No. 4” stamme aus dem Garten ihrer Eltern, sagt Sophia Rudolph, in der “No. 19” kommt Fichtenöl aus der Küche zum Einsatz. “Ich komme da manchmal mit einer Idee um die Ecke”, andersherum lasse sich Lutterbach von den Komponenten ihres Menüs – Restaurant und Bar wechseln saisonal – inspirieren oder schaue sich Techniken beim Köch:innen-Team ab. Die Drinks seien nicht konkret als Pairing zu ihren Gängen gedacht, so Rudolph, wenn es passe, beispielsweise statt Kaffee zu den Petit Fours, empfehle sie aber gerne eine Alternative von der Bar. Andersherum sind Starter aus dem Restaurant begleitend auch an der Bar zu haben. An einem Barfood-Menü sowie einer alkoholfreien Begleitung für das Restaurant wird gerade gearbeitet. “Es passt einfach sehr gut”, sagt Sophia Rudolph. “Auch menschlich.”
Lovis-Bar: Kantstraße 79, 10627 Berlin. Dienstag bis Samstag 18.30 bis 1 Uhr. https://lovisrestaurant.com/
Zuerst erschienen in EssPress No. 2|3 2023
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